Autor: Christian Pape, Vorstand Wohnstätte Stade eG. Hinweis: Der nachfolgende Beitrag nimmt nicht mehr in Anspruch, als die persönliche Wertung des Autoren darzulegen.
Karl Kühlcke war der erste Geschäftsführer unseres Hauses. Von 1925 bis 1948 leitete er die Geschicke der Genossenschaft gemeinsam mit seinen Vorstandskollegen in mehr als turbulenten Zeiten. Die ersten Bauten während der Weimarer Republik, die „Konsolidierung“ der Stader Wohnungsgenossenschaften im Wege der Gleichschaltung während des dritten Reiches, die Existenzsicherung in den Kriegsjahren und die Wiederaufnahme der Aktivitäten nach dem zweiten Weltkrieg: Ohne das Wirken von Karl Kühlcke wäre die Wohnstätte in ihrer heutigen Form nicht denkbar.
In Vorbereitung auf unser Jubiläum im Jahr 2025 haben wir bereits 2018 eine Historikerkommission gebeten, die Geschichte unseres Hauses näher zu beleuchten. Dies hat zur Person des Karl Kühlcke Erkenntnisse gebracht, die im kollektiven Gedächtnis zuvor nicht mehr präsent waren.
In der Bundesrepublik wurde um die Aufarbeitung des Nationalsozialismus lange ein Bogen gemacht. Verdrängung, aber auch der Wunsch sich in zeitlicher Hinsicht nach vorne zu orientieren, waren leitgebend. Auch Karl Kühlcke wurde dabei nicht intensiver beleuchtet. Vielleicht, weil seine Biografie so typisch war.
Karl Kühlcke, geboren 1897, kehrte aus dem ersten Weltkrieg mit einer Verletzung zurück. Beruflich ging er einer Verwaltungstätigkeit als Inspektor bei der Stadt nach, wohingegen seine Tätigkeit für die Wohnstätte ein Ehrenamt war. Infolge seiner Kriegsverletzung wurde er im zweiten Weltkrieg nicht zur Wehrmacht eingezogen.
Bis 1933 ist eine Mitgliedschaft in der SPD nachgewiesen, die nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten zu einer Degradierung auf einen niedrigeren Posten bei der Stadt führte. Anschließend arrangierte sich Kühlcke mit dem neuen Regime, mutmaßlich, um seine Stellungen zu halten. Er gehörte verschiedenen NS-Organisationen an, u. a. als Parteimitglied der NSDAP ab 1937, als (Förder-)Mitglied der SS ab 1934 und als Kriegshilfenrevisor von 1943 bis 1944. Im Zuge der Entnazifizierung wurde er 1947 in die Kategorie V eingestuft, der niedrigstmöglichen Stufe für NSDAP-Mitglieder. Die Ausschussmitglieder werteten ihn als nominelles Mitglied, sodass er als entlastet galt. Fürsprecher attestierten ihm eine demokratische Haltung, die von seinen Mitgliedschaften während der Naziherrschaft abzugrenzen sei.
Was sagen uns dieser Erkenntnisse aus heutiger Sicht? Zweifelsohne müssen wir Karl Kühlcke im Lichte der Zeit sehen, in der er lebte. Für mich ist klar, dass ich vermutlich ähnlich mit dem Regime kollaboriert hätte – unabhängig von der Frage innerer Einstellungen oder Haltungen. Die Kraft, wie sie viele Widerstandskämpfer aufgebracht haben, hätte ich nicht aufbringen können. Eine solche Frage muss aber jede und jeder für sich selbst beantworten. Aus heutiger Sicht lässt sich leicht urteilen.
Aber gerade weil dies so ist, brauchen wir auch heute noch eine kritische Reflektion dieser Zeit. Die Verbrechen der Nationalsozialisten sind in ihrem Schrecken historisch einzigartig – mit der SS als ihrem wirkmächtigsten Instrument. Und eben dieser SS gehörte Karl Kühlcke an, wenn auch nur als Fördermitglied.
Der Emanzipationsprozess von diesem dunklen Kapitel unserer Geschichte wird nie abgeschlossen sein. Zu einem solchen Prozess gehören immer auch Debatten um Namen, Symbole und Traditionen. Die Namensgebung der Karl-Kühlcke-Straße empfinde ich in diesem Kontext daher als schwierig, wenngleich über Für und Wider einer möglichen Umbenennung lange und mit guten Argumenten in jedwede Richtung argumentiert werden kann. Auch bin ich froh, dass die Entscheidung in der Politik liegt. Aber den Diskurs, den müssen wir führen.